Ostasiatische Weisheit
Dao 道 läßt sich in seiner Ursprungsbedeutung von ‚Weg‛ als ein praktischer Begriff der Geisteshaltung und des tugendhaften Handelns verstehen. Das Dao selbst als das, was all seine weiter zu erörternden Bedeutungen vereint, entzieht sich der begrifflichen Bestimmung noch in der Nennung. Mit dieser Grundeinsicht hebt das berühmte erste Kapitel des Daodejing an und intoniert eines seiner Leitmotive.
„Das nennbare Dao ist nicht das ewige Dao. 道可道, 非常道,
Der nennbare Name ist nicht der ewige Name.“ 名可名, 非常名.
Wo im Daodejing dann anschließend Himmel, Erde天地und die zehntausend Wesen unter dem Himmel 天下萬物 (tianxia wanmu) genannt werden, handelt es sich nicht um ein beschreibendes Nennen oder ein Bestimmen gegebener Verhältnisse. Wir begegnen hier keiner deskriptiven Naturphilosophie, sondern es ‘stehen’ Himmel, Erde, König 王, Mensch人 in nicht linearer, nicht hierarchisch zu konstruierenden Folge- und Aufnahmeverhältnissen (vgl. K16, 25). Himmel, der dem dao folgt, und die Erde, die dem Himmel etc. folgt 地法天, 天法道(vgl. K 25), ist Himmel selbst und Erde selbst, wie sie sich in ihrem Sosein, in ihrem von selbst so Sein 自然 in Orientierung (der Rechtheit und zur Rechtheit) verhalten.
Was „unter dem Himmel“ 天下ist als sich in Wegfindung bewegend, wachsend und zu einer Selbstordnung gelangend, ist nicht einfach gegeben und darum mit seiner Nennung nicht schon dargestellt. Der König, das Königliche, hat entscheidende und je vorbildhaft zu verstehende Mittlerfunktion. Die Wesen werden schon im Verhalten zum Königlichen unter dem Himmel begriffen und vom Dao her ist ihnen zu und mit ihm gegeben, den rechten Weg – sich und mitsammen – zu finden (K16, 25). Darum ist auch im Gegenzug zur naturhaften Deutung jede zu kurzschlüssige Übertragung in politische Verhältnisse zu vermeiden.