Platons "Sophistes" und Kants "Kritik der reinen Vernunft" |

Forschungsseminar vom 30.09. - 03.10.2006 am IThB in Beuron

 

Anselm von Canterbury Stiftung

 

 

Institut für philosophisch-theologische

Forschung und Bildung

 


 

Urteilskraft als Methode

Die Verfahren der dihairesis in der Reflexivität ihrer Einteilungen und die kathartische Funktion der diakritike, die dialektische Wissenschaft in Teilhabe und Verflechtung von Ideen und die verschie­denen Arten der Verbindung, etwa von Reflexionsbegriffen als gleichrangig höchster Gattungen oder im urteilsbildenden Logos, wie sie der platonische Dialog "Sophistes" zur Darstellung bringt, sollen in sachlichem Zusammenhang mit dem "Traktat über die Methode" behandelt werden, als den Kant selbst das Werk der "Kritik der reinen Vernunft" kennzeichnet. Die auffallenden methodischen Parallelen zwischen diesen beiden Werken aus Antike und Neuzeit, die zu den wichtigsten in der Philosophie überhaupt gehören, können am Leitfaden des Begriffs der Urteilskraft als in der Sache des philosophischen Denkens begründet gesehen werden. Denn es ist zweifellos die Urteils-kraft das Vermögen, das sowohl in der Prüfung der Unterredungskunst durch den Fremden aus Elea im "Sophistes", als auch durch die aufklärerische Kritik im Zeitalter Kants in Anspruch genom­men ist. Für die Bestimmung des Begriffs der Philosophie als Methode ist so die Urteilskraft schon von Platon her maßgeblich geworden, weil sie es ist, die der Vernunft im Erken­nen von höchsten oder ursprünglichen Bestimmungsgründen das Profil ihres Vermögens verleiht. Vernunft vermag sich nur mit der eine Selbsterkenntnis von Prinzipien im Gebrauch ermöglichen­den Reflexion der Urteilskraft von der theore-tischen Erkenntnishaltung des Verstandes zu unterscheiden und kann als sie selbst nur mit der das Maß der Vermö­gen kritisch wahrenden Urteilskraft handlungsorientierend sein. Inwiefern und inwieweit die Urteilskraft in der Tat eine Brücke zwischen Antike und Neuzeit, zwischen Platon und Kant, zu bilden und durch ihre Kritik der Vermögen zwischen Reflexion und Entscheidung einen die Zeiten umspannenden Begriff der Philosophie als Methode zu erkennen zu geben vermag, dies möchte die gemeinsam parallel­geführte Arbeit durchdenken und prüfen.

Mit dem Anspruch des Durchdenkens und Prüfens stehen wir inmitten des Themenfeldes des Sophistes-Dialogs. Schon zu Beginn wird gefragt, ob jener Fremde gekommen sei, um Musterung zu halten in der Kunst der Unterredung (216b). Doch auch in der "Kritik der reinen Vernunft" begegnen uns Verfahren, die wir als mitdenkende Leser selbst in Anspruch nehmen und darum ermessen können müssen, ob wir sie vermögen, wenn sie in den Resultaten ihrer Ausübung fraglich geworden sind und mit Unvermögen gemischt erscheinen. Ein Wissen von diesen Vermögen, ihrem Maß und ihren Bedingungen hätte sich für die Verfahrenskunst als Lehre ihrer Methode darzu­stellen, und es ist eben jene Aus­einandersetzung mit der Lehr- und Wissbarkeit von für das Verhalten maßgeblichen Bestimmungsgründen, die schon von Platons „Politeia“ her zu einem Bildungsentwurf im Methoden­be­wußtsein der Philosophie führte. Bei Kant wiederum ist es gerade die Methodenlehre, in der er zu erkennen gibt, daß die für sie einzig gangbare Lehrweise nur ein "philosophieren Lernen" sein kann (KrV B 865). Alle für das Wissen der Methode notwendige Systematisierung eines konse­quenten Denkens führt zu Urbildern „der Beurteilung aller Versuche zu philosophieren" und damit zu einem von den Ideen der Urteils­kraft von Vermögen her sich bestimmenden Begriff der Philosophie, durch dessen maßgebliche Bildgestalt der Verflechtung der in keiner Hinsicht zu vernachlässigenden Bedingungen wir uns in allen Vergleichen und Beurtei­lungen von als philosophisch begreifbaren Gedanken auch über Kulturgrenzen hin­weg orientieren können.

Der Vergleich beider Werke ist also nicht äußerlich, nicht auf von zwei Denkern nur vorgelegte Auffassungen bezogen, sondern es dürfte sich durch deren Mitvollziehbarkeit eine Einsicht in die innere Verwandtschaft beider Durchführungen ergeben, die sich aus der Teilhabe im Gebrauch jener Vermögen darstellen, durch die auch wir unser philosophisches Denken, Vergleichen und Beurteilen bewerkstelligen. Prüfende Betrachtung und kritische Verfahren sind also nicht Selbstzweck, sondern dienen den Vermögen in ihren durch einteilende Selbsterkenntnis sich regulierenden Bildungen. Mit der Abweisung einer streitsüchtigen Einübung von bloßer Widerlegungskunst tritt das Angemessene im kunstvoll verfahrenden Gebrauch der Urteils- und Bestimmungsvermögen in die Funktion des grundlegend Orientierenden. Die Idee der Urteilskraft nimmt Gestalt an als ihr Maß, dessen wir nur in der Teilhabe an der Bildung von Vermögen im Widerstreit ihres thematisierenden und ihres funktionalen Gebrauchs innewerden können. Eine Streitlösung bahnt sich durch die den Vermögensgebrauch zu dessen Angemessenheit hin begrenzende Kritik als Bescheidung der Begriffe in eine maßhaltende Begleitung von durch Verbindung verschiedener Vermögen nur möglicher Handlungen an. Auf diese hin ist die Analyse der Urteilsverbindung im Logos, seine Teilhabe an der Irrtum und Wahrheit in der Aussage ermöglichenden Bildhaftigkeit und die Unterscheidung von göttlicher und menschlicher Kunst im Schlußteil des „Sophistes“ zu lesen.

Mit der Methode des prüfenden Mitdenkens geht bei Platon wie bei Kant die Bezug­nahme auf Ideen einher, die als Ideen von Vermögen Maß für deren Ausübung sind. Die für die kantische Kritik zentrale Aufgabenstellung einer Unterscheidung der Kategorien - als Gegenstandsfunktionen des Verstandes - von Ideen verdankt sich bereits der Erinnerung an Platons Begriff von Ideen aus dem, was vornehmlich praktisch ist (vgl. B371). Ideen sind dabei sowohl nach Platon als auch nach Kant nicht unvermittelt handlungsleitend. Vielmehr werden sie nur mit dem Gebrauch der Vernunft- und Urteilsvermögen in den Verfahren der Trennung, Verbindung und Teilhabegemeinschaften als das Maßgebliche und Orientierende für ein Verhalten erkennbar, das sich in seinem Vermögen der Handlungsführung selbst thematisch und damit, wie gesagt, immer auch proble­matisch geworden ist. Nur in den gegenwendigen Verfahren unter Wahrung der Vermögen als Zwecke sind Ideen philosophisch als Maßgründe für das Handlungsverhalten geltend zu machen und nur in solcher Geltungserkenntnis des seine Vermögen reflektierenden Handlungsbewußtseins werden sie eigentlich denkbar.

In beiden Werken, dem platonischen "Sophistes" und Kants "Kritik der reinen Vernunft", haben wir es also mit dem Begriff der Philosophie in ihrer Methode zu tun, die ihre begriffsbestimmenden Aufgaben mit einer Orientierungsbemühung durch Ideen vollzieht, die das Denken und Erkennen zu einer Ausbildung von Verfahrensweisen in der Anmessung führt, darin es sich von der Bestimmungsart gegenüber Gegenständen von Erfahrung aber auch gegenüber den Konstruktion der mathematischen Verfahrensweisen zu unterscheiden lernt. In beiden begegnen uns reflexive Einteilungen, die von der dynamis bzw. Vermögen als einzuteilendem ausgehen und mit ihren Bestimmungsversuchen die einteilenden Vermögen selbst als der Orientierung und der Maßgabe in der Suche nach dem Angemessenen bedürftig zu erkennen geben. Die Aporien und Widerstreite entspringen dabei durchweg einem Mangel an Unterscheidungskraft im Verhalten von und durch die Verhältnisse zu Vermögen; und da das Vermögen, recht zu unterscheiden, nur ein anderer Name für die Urteilskraft selbst ist, wird sich die Wahl unseres Leitfadens für diese vergleichenden Studien als, so hoffen wir, als wohlbegründet zeigen können.

Samstag 30.09.2006

9h

Einleitung: Zum Argumentationsgefüge und den Themenverflechtungen im Dialog  "Sophistes". Mit der Reflexion der Methode, das Sophistische in seiner Verhaltensart zu fassen, ergibt sich ein Aufgabenbewußtsein der Philosophie.  In der Frage, was mit wem Gemeinschaft eingeht und was nicht, ist ein Vermögen gefordert, das wir angemessen nur als Urteilskraft begreifen können.

10:30h

Lektüre und Diskussion des Sophistes. Die diakritiké und die Verfahrensweisen der dihairesen. Einteilung von Vermögen (dynamis). 219a - 224e

16h

Abtrennung als Reinigung (225a ff); vergleichende Einteilungen von Körperlichem und Seelischem (227c ff - Die Rede von den Teilungen muß auch für die Begriffsbestimmung ein Bild von ausgedehnten Körpern in vergleichendem Gebrauch halten.) Techniken des Widerstreits (auch 232 b) und der Einstimmung; Kunst der Widerlegung (230 e). Unterscheidung des Wissens vom Scheinwissen (233c) im Verhältnis zu Handlungsweisen und Verhaltensarten, an denen wir in der Jagd des Erfassens durch Begriffsbestimmung selbst teilhaben.

20h

Einbildnerische Erzeugung von Vorstellungen und Meinungen (233b ff) über das eigene Vermögen und Ausbildung seiner Zwecke. Das Bildhafte in der vorstellungerzeugenden Logosverbindung und das Sein des Nichtseins (237 ff) als Bedingung der Möglichkeit von Schein und Irrtum (240 e ff; ).

Nachahmung und das Maß der Wahrheit (236a ff). Wort, Anschauung, Bild (239 e). Verknüpfung von Gegensätzen in der Einteilung.

Sonntag 01.10.2006

9h

Die Frage nach dem Nichtseienden (aus dem Bewußtsein der Rede von ihm 238 ff) erfordert es, auch nach dem Seienden als solchem zu fragen. Methodenweisung des Parmenides und die Einteilung des Seienden (242 a-c ff).  Das Seiende als eines, vieles und als ganzes (244 d ff); Analogien im Denken von Ganzem und Teil (245 a ff).

Gigantomachie des Meinungsstreits über das Sein als Sein von Körperlichem,   und als Sein, das durch Formen (eide) uns ein Sein von Gedanken, Reden und  der Seele (246 e) denken läßt.

Das Sein von Gerechtigkeit, Tugend in ihren Entgegensetzungen nicht ohne Sein der Seele, die in Ausübung ihrer Unterscheidungs- und Beurteilungsvermögen gerecht oder ungerecht sein kann.

16h

Sein als dynamis (247e). Verbindung der Gattungen (Bewegung und Ruhe; Gemeinschaft in Identität und Verschiedenheit 252 b). Dialektische Wissenschaft (253d).

megista gene (254 e ff). Identität und Verschiedenheit als Reflexionsbegriffe, die den Gebrauch der reflektierenden Urteilskraft als Vermögen der Methode kennzeichnen. (Bedingungen des Vermögens der Rede und des Denkens 259e).

20h

Notwendige Erweiterung der Verflechtung durch Bestimmung, was Aussage (logos) und Urteil sei (261 c ff). Sein des Nichtseienden in den Bildfunktionen der Urteilsverbindung und die Möglichkeit des Irrtums als Bedingung der Wahrheitsfähigkeit von logoi in ihrer Erzeugung 263 d ff). Einteilung der bildschaffenden Künste für den Begriff von Urteilen (logoi) in Beurteilbarkeit des Wahren und Falschen (264 c ff).

"Das mit ihm Gemeinsame abgetrennt ..." (264 e) im Begreifen des Sophistischen wird die Philosophie sich ihrer selbst durch Unterscheidung im Gemeinsamen bewußt. Göttliche und menschliche Kunst in der Annahme des Prüfung und Kritik ermöglichenden Maßes. Sophist, Staatsmann und Philosoph - Die Stellung des "Sophistes" im Verhältnis zu den Dialogen "Parmenides" und "Politikos".

Montag 02.10.2006

9h

Kant: Verstand, Vernunft, Urteilskraft - die Dynamik der sich einteilenden Erkenntnis-vermögen und die architektonische Struktur ihrer Kritik im Verhältnis zu Sinnlichkeit und Einbildungskraft.

Vorblick auf das Seminar im Sommer 2007: Zur Kantdeutung Martin Heideggers. "Polygonale Begründungsstruktur" (Dieter Henrich) und die Kritik an der Hypostasierung einer Grundkraft als Einheit der Vermögen.

10:30h

Hauptaufgabe der Kritik: Unterscheidung von Kategorien und Ideen. Diese Unterschei-dung ist ohne reflexive Einteilung der Vermögen nicht möglich. Sie vollzieht sich als Erkenntnis und Selbsterkenntnis der Vernunft als Urteilskraft.

16h

Kategorien als Gegenstandsfunktionen des Bewußtseins. Ihre Darstellung in der "Ableitung" aus der Zusammenstimmung von Urteils- und Verstandesfunktionen. - Eine Lösung im Blick auf die Vorarbeiten von Klaus Reich, Reinhard Brandt und Michael Wolf zur "Vollständigkeit der Urteilstafel". Bestimmungsarbeit von reinen Verstandesbegriffen aus deren Vermögen als Einholung von Bedingungen ihres angemessenen Gebrauchs.

20h

Fortsetzung der Diskussion zur Ableitung der Kategorien. Land der Wahrheit und die Dialektik der reinen Verstandesvernunft.

Dienstag 3.10. 2006

9h

Zur Funktion des transzendentalen Ideals für das kritische Verfahren und die Darstellung von Ideenbegriffen. Zur Unterscheidung der sog. transzendentalen Ideen von Ideen überhaupt.

10:30h

Idee an ursprünglichem Ort, von woher sich ihre Orientierungskraft als das entfaltet, worauf wir erinnernd wieder zurückkommen können. Identitätsform der Begriffe von Idee und Vermögen, Kritik und Methode, Maß und Grund in sich verbindend einteilender Bestimmung.

16h

Abschließende Diskussion: Verflechtung der Ideen in der methodisch-kritischen und ästhetisch reflektierenden Urteilskraft nach Platon und Kant.

Idee zwischen Ursprung und Erscheinung. Die gebrochene Einheit des Ästhetischen und Begrifflichen als Beweggrund ihrer Reflexion. Bildung des Erfahrungsgedächtnisses des Geistes in Gemeinschaft und Unterscheidung seiner Vermögen.

Werk der Kritik und Idee des Werks. Ideen sind "vorzüglich praktisch" und fordern in der Anmessungsarbeit den Einsatz als Person für eine Einheit, die ohne dichterische Kunst durch Begriffe allein nicht als Einheit einer Vielheit, nicht als Gemeinschaft von Ideen als maß- und orientierungsgebender Prinzipien von Verhaltensvermögen im Gedächtnis zu halten ist.

 
 

 


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